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V2 - Mutter aller Raketen
20 km von Berlin entfernt, liegt das Dörfchen Kummersdorf. Kummersdorf, der Name verrät es schon, ist ein Dorf ohne Äcker, denn es ist auf Sand gebaut. Außer Föhren wächst hier nicht viel. Daher ist die Gegend um Kummersdorf menschenleer, weshalb das Militär hier ungestört neue geheime Waffen testen konnte. In den Wäldern um Kummersdorf lag die Wiege der Raumfahrt. Junge, raketenbesessene Studenten probierten auf einem Schießplatz des Heeres die ersten Raketen aus. Unter ihnen befand sich der junge Student Wernher von Braun. Schon in jungen Jahren konnte er sich als Mitarbeiter von Hermann Oberth hohes Ansehen als Raketenexperte erwerben, und 1932 wurde er Mitarbeiter in einem Raketenentwicklungsprogramm des Heeres.
Es blieb nicht aus, dass sich das Heer für den jungen Wernher von Braun zu interessieren begann. Der Leiter des Heeresschießplatzes, Hauptmann Walter Dorberger, war ein erfahrener Artillerist. Als Maschinenbauingenieur experimentierte er mit flüssigkeitsbetriebenen Raketenmotoren. Die ersten dort erzielten Erfolge überzeugten das Heer, daß die Rakete eine brauchbare Waffe sein könnte und führten zu einem Aufschwung des Raketenprojektes. Bald reichten die Bedingungen in Kummersdorf nicht mehr aus. Im Frühjahr 1936 war die Entscheidung für den Standort eines neuen Raketenforschungszentrums gefallen: der kleine und abgeschiedenen Ort Peenemünde auf der Ostseeinsel Usedom.
Die Rakete entwickelte sich aber immer mehr zur Kriegswaffe. Nach vielen Fehlstarts und Abstürzen plante das Heer 1938 den Bau einer Langstreckenrakete, die, ausgerüstet mit einem Gefechtskopf von einer Tonne Gewicht, mindestens 300 Kilometer weit fliegen sollte. Bei Kriegsbeginn billigte die Wehrmacht dem A4-Projekt die höchste Dringlichkeitsstufe zu. Wernher von Braun wurde ziviler Technischer Direktor in Peenemünde. Die Heeresversuchsanstalt Peenemünde wurde das modernste und am weitesten entwickelte Raketenforschungszentrum der Welt. Im Frühjahr 1940 arbeiteten hier mehr als 18.000 Mitarbeiter bei Tag und Nacht an der Entwicklung der A4. Auf die geplante Verwendung der von ihnen entwickelten Flugkörper hatten die Raketenforscher längst jeden Einfluss verloren. Am 3. Oktober 1942 wurde die erste funktionierende Raktete in den Himmel geschossen. Sie erreichte eine Höhe von 84 km. Damit war sie die erste Rakete, die den Weltraum erreicht hatte.
Dieser erfolgreiche Raketenflug brachte den Durchbruch. Wernher von Braun glaubte noch an die Eroberung des Weltraums: "Ich will nicht nach London, ich will auf den Mond." Doch seine A4 wurde zu V2 umbenannt: Vergeltungswaffe. Am 8. September 1944 erschütterte ein unheimliches Donnern und eine schwere Explosion einen Stadtteil Londons. Dieser erste Einschlag einer V2 bedeutete eine Zäsur in der Kriegsgeschichte, den Beginn der deutschen Raketenoffensive. Bis Kriegsende wurden etwa 2.500 Raketen gegen London und Antwerpen abgefeuert.
© 2010 Alexander von Behaim-Schwartzbach