Archiv

Suche und Entdeckung der Marsmonde

Schon Homer schrieb in seiner Ilias, dass der Rote Planet zwei Trabanten habe. Auch Kepler vermutete, dass Mars zwei Monde haben müsse. Als gläubiger Mensch ging er jedoch davon aus, dass die göttliche Schöpfung sich in harmonischen Zahlenverhältnissen wiederspiegeln würde, also Venus 0 Monde, die Erde 1 Mond und folgerichtig der Mars 2 Monde. Nach diesem Schema müsse der Jupiter vier Monde haben: 0-1-2-4. Seit Galileo waren vier Jupitermonde bekannt, was widerspruchfrei in das göttliche Schema passte. Der englische Schriftsteller Jonathan Swift erstaunte mit einer geradezu hellseherischen Gabe, als er in seinem Buch Gullivers Reisen (1726) über zwei Marsmonde berichtete und deren Größe und Entfernung vom Mars er richtig beschrieb. Aber es sollte noch bis 1877 dauern, bis der Amerikaner Asap Hall (siehe Abbildung) die beiden Felsbrocken, die den Mars umkreisen, tatsächlich fand. An dieser Entdeckung war aber seine Frau Angelina auch nicht ganz unbeteiligt. Die Entdeckung der vermuteten Marsmonde sollte allerdings noch zu einem spannenden Wissenschaftskrimi werden.

Asaph Hall

1. Akt: Erste Beobachtungen

Zu jedem guten Krimi gehört natürlich ein Bösewicht. In dieser Geschichte gab es aber gleich zwei davon. Die eine Rolle war mit dem Assistenten der Sternwarte Edward Singelton Holden besetzt. Der zweite Antagonist war der Leiter der Sternwarte höchst persönlich. Holden, der Schurke Nr. 1, arbeitete mit dem leistungsfähigsten Gerät des Observatoriums in Washington, einem 26" Teleskop. Obwohl Hall mittlerweile auch berechtigt war, mit diesem Gerät zu arbeiten, verweigerte Holden ihm jeden Zugriff. Er war dadurch gezwungen, mit dem wesentlich schwächeren 9,6 Zöller zu arbeiten. Wenn aber Holden nicht im Hause war, verwendete natürlich auch Hall das bessere Gerät. Als 1877 der Mars wieder einmal ganz in der Nähe der Erde stand, nutze Hall die Gelegenheit und machte von ihm eine Reihe Aufnahmen. Da der Mars nun fast seine Opposition (erdnächste Position) erreicht hatte, wurden die Beobachtungsmöglichkeiten jeden Tag besser. Hall konnte sein Glück kaum fassen, als Holden für einige Tage eine Einladung der Sternwarte in New York annahm. Jetzt war der 26" frei und Hall und Frau Angelina konnten ungestört mit diesem Gerät arbeiten. Am 9. August begann er die weitere Umgebung des Marses nach den vermuteten Monden abzusuchen, aber er sah nur schwache Hintergrundsterne.

In der folgenden Nacht durchsuchte er den Himmel in unmittelbarer Nähe des Planeten Mars. Das war nicht ganz einfach, denn der Planet überstrahlte den ganzen Himmel, was eine Beobachtung schwierig machte. Nach einigen Stunden intensiver Suche wollte Hall entnervt aufgeben. Überdies war er sich nicht sicher, ob der Mars wirklich auch Monde hatte. Doch seine Frau drängte ihn, unbedingt weiter zu machen. Nur jetzt stand der Mars so nahe bei der Erde wie nie zuvor. Vom nahen Potomac River zogen aber dicke Nebelschwaden auf, die bald eine Beobachtung des Himmels unmöglich machten. Kurz bevor sich der Himmel total zuzog, sah Hall noch einen "faint Star", einen schwachen Stern. Doch er hatte noch genügend gesehen und wollte in der nächsten Nacht die Stelle noch einmal absuchen.

2. Akt: Die Entdeckung der Marsmonde

Zwei winzige Pünktchen neben dem Mars: Phobos und DeimosIn der nächsten Nacht blieb der Himmel dicht bewölkt. Erst eine Nacht später klarte es wieder auf. Hall schaute nach dem kleinen Lichtpünktchen, das er vor zwei Nächten gesehen hatte. Wenn es tatsächlich einen Marsmond gewesen war, dürfte das Lichtpünktchen natürlich nicht mehr an der gleichen Stelle stehen, sondern es müsste mittlerweile etwas gewandert sein. Zu seiner übergroßen Freude stand das Lichtpünktchen jetzt auf der anderen Seite des Marses. Nun war es klar, dass dies nur ein Mond sein konnte. Vor Glück war er ganz benommen. Aufgeregt weihte er seinen Nachtassistenten George Anderson in seine Entdeckung ein und beide schauten sich das Sternchen an. Er beschwor ihn, unter allen Umständen, den Mund zu halten. In der nächsten Nacht suchte er wieder nach dem winzigen Objekt. Doch zu seinem Erstaunen fand er noch einen zweiten Lichtpunkt. Tatsächlich hatte er zwei Marsmonde entdeckt. Hoch beglückt trug Hall seine Entdeckungen in das offizielle Beobachtungsbuch ein. Nun konnte ihm niemand mehr den Entdeckerruhm streitig machen. Er benachrichtigte nun Newcombe, den Leiter der Sternwarte von seinen Entdeckungen. Mit einem Glas Sekt wurde das großartige Ereignis gefeiert. Asap Hall war überglücklich.

Wenige Tage später erschien ein längerer Artikel über die neu entdeckten Marsmonde in der New York Times, den Newcombe verfasst hatte. Zu seinem Entsetzen las Hall, dass Newcombe nun behauptete, er selbst hätte die Marsmonde entdeckt. Hall habe, so schrieb Newcombe dreist, erst die Existenz des Mondes akzeptiert, nach dem er [Newcombe] die Umläufe des Mondes mathematisch bestimmt habe. Da Hall jedoch seine Entdeckung glücklicherweise rechtzeitig in das Beobachtungsbuch eingetragen hatte und auch Anderson sich auf Halls Seite stellte, war der versuchte Betrug zu offensichtlich. Als Holden aus New York zurückkehrte, wusste er natürlich sofort, dass Hall ihm die Entdeckung der Marsmonde vor der Nase weggeschnappt hatte.

Die beiden neu entdeckten Marsmonde waren noch namenlos. Henry Madan, Hausmeister am Eaton College in England schlug vor, sie Phobos und Deimos zu nennen, denn das waren die beiden üblen Knechte, die dem Kriegsgott Mars bei seinem schaurigen Handwerk halfen. Hall, dem die Namensgebung als Entdecker der beiden Monde zustand, nahm den Vorschlag als sehr passend an.

2010 © Alexander von Behaim-Schwartzbach