Archiv
Der Motor des Golfstroms
Nicht der Amazonas oder der Nil sind die längsten Ströme der Erde, sondern die Meeresströme. Sie durchmischen das Wasser in allen Ozeanen der Welt. Der Golfstrom ist der nördliche Teil des Atlantikstroms. Er transportiert das Wasser aus der Karibik nach Europa und macht diesen Erdteil erst bewohnbar. Die warmen Wassermassen wirken wie eine Warmwasserheizung. Wenn der Golfstrom versiegt, wird die nächste Eiszeit kommen - unweigerlich.
Für den Antrieb der Meeresströme sind mehrere Faktoren verantwortlich. In erster Linie sorgt die Anziehungskraft des Mondes dafür, dass zwei Gezeitenwellen über die Weltmeere rasen. Die zweite Kraft entsteht durch den Temperaturunterschied der Meere. Warmes Wasser steigt auf, während kaltes Wasser in die Tiefe absinkt. Auch ist der unterschiedliche Salzgehalt dafür verantwortlich, ob Wasser an der Oberfläche bleibt oder absinkt. Süßwasser ist leichter als Salzwasser. Dieses Phänomen heißt Thermohaline Zirkulation.
Um die Thermohaline Zirkulation verstehen zu können, muss man etwas nachdenken. Das Salz des Meerwassers wird beim Eiswachstum nicht in das Kristallgitter des Eises eingebaut, sondern teilweise in den Ozean abgegeben, wodurch sich der Salzgehalt des Ozeans erhöht und das Wasser dadurch schwerer wird. Deshalb sinkt das Salzwasser in die Tiefe und zieht den Golfstrom nach Norden. Vor der grönländischen Küste zerfasert der Golfstrom und teilt sich in mehrere Teile. Ein Teilstrom fließt ins Nordpolarmeer an Norwegen vorbei in die russische Barentssee. Dort hält der Golfstrom sogar den Eismeerhafen Murmansk im Winter eisfrei.
Durch den als transatlantische Zentralheizung fungierenden Golfstrom stiegen die Temperaturen im Nordatlantik um mehr als sechs Grad Celsius. Wenn allerdings das Weltklima weiter ansteigt, wird das Salzwasser des Nordatlantiks immer weiter verdünnt. Es verliert sein Gewicht und kann nicht mehr vor Grönland in die Tiefe versinken. Dadurch fängt der thermohaline Motor zu stottern an und der Golfstrom fließt nur noch bis zu den Azoren. Die Temperaturen des Nordatlantik, der Nordsee und des Polarmeers werden dann in wenigen Wochen um 6°C fallen. Dadurch verändert sich auch die Bahn der Tiefdruckgebiete, die übrigens auch wieder viel Wärmeenergie nach Europa bringen.
Wir wissen heute, dass nur wenige Grad ausreichen, um eine neue Eiszeit auszulösen. Steigt die Temperatur des Weltklimas weiter an, funktioniert die Thermohaline Zirkulation nicht mehr, weshalb der Golfstrom Europa nicht mehr erreichen wird. Während der Eiszeit hatten wir schon einmal dieselbe Situation, doch als der Golfstrom wieder nach Europa zurückkehrte, war mit einem Schlag die Eiszeit vorbei. Eiszeiten, das weiß man heute genau, lassen sich an- und abschalten.
Wissen kompakt
- Da das Nordatlantikwasser salzreich und kalt ist, versinkt es vor der Küste Grönlands in die Tiefe. * Das Wasser vor Grönland ist durch das Schmelzwasser der Gletscher etwas weniger salzhaltig, da es sich verdünnt. Da der Gefrierpunkt bei Süßwasser schneller erreicht wird beginnt es folglich früher zu gefrieren.
- Bei einem Salzgehalt über 21 Promille (der Ozean hat im Mittel 35‰) gefriert Wasser, bevor es bei Abkühlung ein Dichtemaximum erreicht. Dadurch wird das Absinkgebiet des Atlantik immer weiter nach Süden verschoben. Der Golfstrom wird Europa nicht mehr erreichen, sondern er wird bereits in der Höhe der Azoren in die Tiefe versinken. Zum Antrieb der Zirkulation wird also salziges Wasser, das hinreichend kalt werden kann, benötigt.
- Im gegenwärtigen Klima können wir diesen Mechanismus als sich selbst aufrecht erhaltende Pumpe ansehen: je stärker das Tiefenwasser gebildet wird, desto mehr salzreiches Wasser wird an der Oberfläche nach Norden gezogen.
- Mit verschiedenen Computermodellen wurde gezeigt, dass ein Frischwassereintrag, wie etwa beim Abschmelzen der kontinentalen Eisschilde nach der Eiszeit, ausreicht, die Zirkulation erliegen zu lassen. Für die künftige Entwicklung des Klimas ist hier ein besonders kritischer Punkt zu sehen, der schon als "Achillesferse" des Klimasystems bezeichnet wurde. Zunehmender Wasserdampftransport von den Tropen zum Pol als Folge der Erwärmung, aber auch eine Veränderung der Schneebilanz auf Grönland (zunehmender Schneefall und mehr Schmelze an den Küsten) könnten zu einer Veränderung des Antriebsmechanismus führen.
- Die z.Zt. betriebenen Klimamodelle geben unterschiedliche Antworten. Die meisten liefern für das Jahr 2100 etwa eine mässige bis starke Abschwächung, die zu einer Verzögerung der Erwärmung in Europa führt, oder auch zu vorübergehender leichter Abkühlung. Es wurden auch Modellergebnisse vorgestellt mit dem Befund, dass die Zirkulation bei sehr rasch zunehmendem Kohlendioxidgehalt in der Atmosphäre völlig stoppen könnte. Die Frage nach der Zukunft des Golfstromsystems ist also noch offen.
© 2010 Alexander von Behaim Schwartzbach